Susanne Jensen


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Predigt zu "Kannst du pfeifen, Johanna?" zum 2. Sonntag der Passionszeit  
   

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Bei meinen Streifzügen durch die Stadt
habe ich ein Kinderbuch erstanden.
Ich finde ja immer was,
besonders wenn ich in Buchgeschäfte gehe.

Abteilung Kinder- und Jugendliteratur:
Ein Büchlein ausgezeichnet mit dem
Deutschen Jugendliteraturpreis,
geschrieben von dem schwedischen Kinderbuchautor
Ulf Stark - bebildert von Anna Höglund.

Die Geschichte spricht in ihrer Schlichtheit
für sich selbst. Sie ist eine Geschichte mit 
einem weiten Horizont -
dem Horizont des gelebten Evangeliums.

Zwei Jungens und ein alter Mann sind 
die Charaktere.

Schlägt man das Buch auf, sieht man
die beiden Jungs, Berra, 7 Jahre alt, und den Ich-Erzähler,
auf einem freien Platz spielen.

Berra und ich
schaukelten auf unserer selbst gebauten Wippe
und ich erzählte, dass ich bei meinem Opa
eingeladen sei. Zum Tortenessen.
Weil er Geburtstag habe.
„Und dann krieg ich 5 Kronen“ sagte ich.

„Du kriegst Geld, weil dein Opa Geburtstag hat?“,
fragte Berra erstaunt.

„Ja“, sagte ich. „Und ich krieg jedes Mal,
wenn ich ihn besuche, ein bisschen.“

„Menschenskind! Der ist wohl sehr lieb, was?“
fragte Berra.  „Ja.“ Ich nickte.
„Und ich schenke ihm heute eine große Zigarre.“

Da guckte Berra sehnsüchtig zu den Wolken hinauf.
„Ich hätte auch gerne einen Opa“, murmelte er.
„Was machen Opas eigentlich?“
„Also, sie laden einen zum Kaffee ein“, sagte ich.
„Und dann essen sie Schweinshaxen.“

„Jetzt willst du mich aber reinlegen, was?“ sagte Berra.

„Nein, das stimmt“, versicherte ich.
„Schweinshaxen in Gelee. Und manchmal gehen sie
mit einem zum Angeln an einen See.“
„Warum hab ich keinen Opa?“ fragte Berra.

„Weiß ich nicht“, antwortete ich.
„Aber ich weiß, wo du einen finden kannst.“
Am nächsten Tag machten sich die beiden
auf den Weg, einen Opa für Berra zu suchen.
Ganz anschaulich erzählt von Ulf Stark.
Ich erinnerte mich sofort beim Lesen
an die viele schönen Heiermänner 
und Scheinchen von Onkel
und Tante. Darüber hatte ich mich als Kind
doll gefreut. Und ich erwartete den Geldsegen
dann auch, irgendwie wie selbstverständlich.

In den Kinderbuch geht’s weiter:
Berra und sein Freund stehen auf der Straße.
Berra hat sich fein gemacht und
hält eine Ringelblume frisch aus einem
Garten der Nachbarschaft in der Hand.

Wohin werden sie wohl gehen,
die zwei Jungs?

Berra und ich, 
wir gingen an der Bäckerei vorbei,
aus der es nach Brot duftete, 
und an einem Wäldchen, wo die Vögel
in den Bäumen saßen und pfiffen.
Dann flitzten wir an der Kapelle vorbei
und an den Bestattungsautos,
die in der Sonne glänzten.

Jetzt waren wir fast am Ziel.

„Da!“, sagte ich. 
„Da kannst du einen Opa finden.
Da drin gibt´s ´ne Menge alter Männer.“
Ich zeigte aufs Altersheim.

Die Bilder und die direkte Sprache
haben mich beim Lesen fasziniert.
Klar, im Altersheim - gibt’s ´ne Menge alter Männer.

Der Gang ins Altersheim um einen Opa zu finden,
ist für Jungens sicher außergewöhnlich.
Entweder hat man einen Opa,
oder man hat keinen mehr.
Aber die beiden gehen los und suchen einen Opa.

Irgendeinen Opa?

Eine Tür in einem langen Flur steht einen Spalt offen.

„Der da!“, flüsterte ich in Berras rotes Ohr.
„Der sieht doch alt aus?“

„Ja“, sagte Berra, nachdem er ein Weilchen gekuckt hatte.
„Aber ich glaub, ich hab´s mir jetzt anders überlegt.“
„Kommt nicht in Frage“, sagte ich. 

„Du gehst jetzt rein und begrüßt ihn.“

„Guten Tag!“, rief Berra.
„Isst du vielleicht Schweinshaxen?“

Der alte Mann drehte sich um.
„Ob ich Schweinshaxen esse?
Nein, ich spiele mit mir selbst Karten.
Und wer bist du denn?“

Die beiden machten sich bekannt.
Berra mit seiner Ringelblume in der Hand
und Nils, der alte Mann.
Ja, es dauerte nicht lange, da
umarmte der alte Mann  den Jungen Berra, und ließ
sich gerne von ihm Opa Nils nennen.

Gemeinsam gehen sie ins Café des Altersheims
Kaffee trinken.
Zu knabbern gab´s Zimtschnecken.

Plötzlich hob Opa Nils Berra hoch
und stellte ihn auf den Tisch.
Er nahm einen Kaffeelöffel und
klopfte damit an seine Kaffeetasse,
bis alles ganz still wurde.

„DAS HIER IST MEIN ENKEL!“ rief er stolz.
„ER HEISST BERRA UND HAT MIR HEUTE
EINE RINGELBLUME GESCHENKT!“

Zwischen Berra und Nils entwickelt sich
mehr als eine Opa-Enkel-Beziehung,
es entwickelt sich eine Freundschaft.
Zärtlich und genau beschreibt Ulf Stark
den Fortgang der Geschichte -
die Bilder zeichnen Menschen mit Gefühlen.
Und immer wieder musste ich beim Lesen
ein wenig Schmunzeln.

„Opa, ich hab was vergessen“, sagte Berra.
„Aha, was denn?“
„Also, wenn man seinen Opa besucht,
kriegt man eigentlich immer ein bisschen
Geld von ihm. Ulf kriegt immer welches.“
„Und wie viel kriegt er denn?“
„Manchmal 2 Kronen“, sagte ich.
„Und wenn ein besonderer Tag ist,
können es auch fünf werden.“

„Dann werden es heute bestimmt 5 sein“;
sagte Opa Nils und begann in seinen Taschen
nach Geld zu suchen.

Einen Sommer lang hat Berra seinen Opa Nils.
Sie gehen gemeinsam Kaffee trinken und essen 
Zimtschnecken, sie erzählen sich Geschichten,
gehen gemeinsam in den Park.

Im Park hatte Opa Nils eine Tasche dabei,
in der er lauter Sachen mitgenommen hatte:
eine Schere, ein Messer mit rotem Griff,
eine Angelleine, Schnur, Nadel und Faden.
Dann noch einen Schal mit Rosenmuster
aus dünnem, glänzendem Stoff.

„Den Schal hab ich einmal meiner Frau geschenkt.“
sagte er. „Fühlt ihr, wie weich er ist? ... Und wie leicht? ...
Das ist echte Seide. Der feinste Stoff überhaupt.
Das Beste, was es gibt,
wenn man einen Drachen bauen will.“

Die drei bauten einen Drachen
an einem Sommertag im Park.
Leider war zu wenig Wind,
um ihn steigen zu lassen.
Für die Jungs ein toller Tag.
Opa Nils pfiff beim Bauen auch ein
so schönes Lied: „Kannst du pfeifen, Johanna“

Johanna hieß seine Frau - 

Einmal lag Opa Nils im Bett.
Es ging ihm nicht gut.
Berra und sein Freund wollten wissen,
was ihm am meisten Spass gemacht hat:
Kirschen klauen.

Sie verabredetet sich zu seinem Geburtstag,
um richtig zu feiern.
Ja, das sollte für Opa Nils ein toller Tag werden.
Berra übte pfeifen,
doch es klappte noch nicht so recht.

Er kaufte eine Zigarre und
Schweinshaxe in Gelee.
Alles, was Opas so mögen.

Sie kamen ins Altenheim und 
zogen mit Opa Nils los.

Erst einmal zum Kirschen klauen.
Beinahe hätte sie der Gustavsson erwischt.
Seine Kirschen schmeckten wirklich lecker.

Im Wäldchen neben der Kapelle 
machten sie das Geburtstags-Picknick.
Berra schenkte seinem Opa eine dicke Zigarre
und einen Schlips aus Seide.

„Wer hätte gedacht, dass ich einen Enkel
wie dich kriegen würde.“, sagte er schließlich.

„Ja. Und dass ich so einen Opa wie dich 
kriegen würde.“, sagte Berra.

Der Sommer geht -
die Tage werden kürzer und windiger.
Immer wieder übt Berra das Lied
„Kannst du pfeifen, Johanna“ für seinen Opa.
Pfeifen ist schwierig, wenn man es noch nicht kann.

Als er´s endlich konnte,
lief er zum Altenheim -
was für ein Schreck!

Das Zimmer von Opa Nils war leer,
die persönlichen Sachen von ihm
waren verschwunden, es roch nach Schmierseife.

„Wir suchen meinen Opa.“

„Er ist nicht mehr hier.
Er hat uns verlassen.“ sagte eine Heimbewohnerin.
Sie versuchte Berra zu trösten
und sagte, dass Opa jetzt im Himmel sei.
Und dass man sich am Samstag in der Kapelle
von ihm verabschieden könne.

Da wurde Berra wütend ...
„Gerade jetzt, wo ich pfeifen gelernt hab
und alles!“, heulte er ...

Berra muss sich von seinem Opa Nils verabschieden.

An einem windigen Herbsttag -
holt sich Berra die schönste Rose
aus Gustavssons Gatren.

Er zieht sich einen schönen Pulli 
mit fröhlichen Farben an.

„Jetzt gehen wir zu Opa
und verabschieden uns von ihm.“

Draußen vor der Kapelle stand ein Bestattungsauto.
Drinnen hatte es schon angefangen.
„Wir setzen uns hier hin.“ sagte Berra. ...
Als die Musik verstummt war,
trat ein Pfarrer vor und hielt eine Rede.

„Nils war ein fröhlicher Mensch.
Vor allem gegen Ende. Wir hatten ihn alle gern.
Daher brauchte er nie allein zu sein,
obwohl er keine Verwandten hatte“ ...

Da streckt Berra die Hand hoch
und wedelte, dass alle herschauten.

„Er war aber mein Opa!“, sagte er.

Dann gingen alle nach vorne und legten
Blumen auf den Sarg.
Berra und ich gingen zuletzt.
Wir verbeugten uns und
Berra legte Gustavssons Rose auf den Sarg.

„Jetzt werde ich pfeifen.“ sagte Berra.
Und dann pfiff Berra,
dass es in der Kapelle nur so hallte.

Er pfiff „Kannst du pfeifen, Johanna.“

Nachdem die Trauerfeier zu Ende war
überlegten die Jungs:
„Und was machen wir jetzt?“

„Jetzt lassen wir den Drachen steigen.
Heute ist nämlich Wind.“
AMEN